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Traumzeit – Botschaften aus dem Unbewussten

Traumzeit – Botschaften aus dem Unbewussten

Da ist ein großes Hotel oder Anwesen oder Resort, mit vielen Räumlichkeiten, Parkanlagen, Gängen, Bädern. Schauspieler, stark geschminkt oder tätowiert, und hoch elegante Müßiggänger gehen ein und aus. Dann versammeln sich Hotelgäste in einem weitläufigen Saal. In einer Ecke sitzt ein Mann hinter einem ausladenden, blanken Tisch. Sein Gesicht ist scharf geschnitten, seinen quadratischen Schädel bedeckt dichtes, schwarzes Haupthaar. Er wirkt kräftig, neutral, durchschnittlich. Unter einer hervortretenden Stirn und dunklen Augenbrauen blicken ausdruckslose Augen. Er trägt einen dunkelgrauen Pullover.

Plötzlich zieht sich der Mann in einer schnellen Bewegung den Pullover über den Kopf und enthüllt darunter ein Priestergewand, schwarz-weiß, protestantisch mit Spitzkragen und Schleife. Gleichzeitig verwandelt sich der Tisch vor ihm in einen Steinaltar.

Peinlich, dass er sich in eine Versammlung, die nichts Religiöses im Sinn hat, eingeschlichen hat. Aber die Wandlung fasziniert. Um die Peinlichkeit zu überbrücken, stehe ich auf und tanze durch die Reihen, Pirouetten drehend, leicht taumelnd. Dabei habe ich um den Hals einen weißen, flauschigen Schaal geschlungen, vielleicht auch ein lebendiges Tier, das ich unterwegs verliere, bevor ich an meinen Platz links neben dem Altar zurückkehre.

Links neben mir sitzt eine unscheinbare Frau mittleren Alterns, hageres Gesicht. Plötzlich fängt diese an, lauthals zu singen, glockenklar, in einer unbekannten Sprache, die ans Holländische erinnert. Sie liest den Text des Lieds von Papierschnitzeln ab, die jeweils eine Zeile tragen. Ich kann den Text sehen, aber nicht entziffern.

Der Gesang verwandelt die Atmosphäre im Saal. Ergriffenheit, Heiligkeit breitet sich aus. Mir schießen die Tränen in die Augen, bin gebadet in Rührung. Meine Tränen verwaschen den Text auf den Papierschnitzeln. Die Sängerin bedeutet mir, den den unkenntlich werdenden Text frisch aufzuschreiben. Ich winke ab, zu sehr bin ich von Emotionen überwältigt und geschüttelt.

Links neben der Frau sitzt meine Lehrerin, die plötzlich ins Bild kommt. Ich übergebe ihr die Papierschnitzel mit der wortlosen Bitte, sie möge doch den zu verschwinden drohenden Text aufschreiben. Sie nimmt die Schnitzel entgegen und fängt an zu schreiben.

Die besondere Qualität der Traumbilder, ihre ungewöhnliche Emotionalität und Intensität, das Ineinanderfließen von Szenen und Personen, die Unberechenbarkeit der Abläufe und Beziehungen, das Bedeutungsschwangere und Symbolhafte, die Aufhebung von Zeit und Raum, das sind die Zutaten, welche die Menschheit seit alters her fasziniert und in Bann schlägt.

Denn hier scheint der einzelne Mensch unmittelbar Zugang zu einem transzendenten Universum zu haben, das fremd, abenteuerlich und erschreckend anmutet, ja in frühen Zeiten schienen hier die Götter oder der biblische Gott selbst unmittelbar in Erscheinung zu treten und Kontakt aufzunehmen.

Deshalb stand hier der prophetische, wenn man so will: paranormale, Aspekt des Träumens im Vordergrund. Wobei man sich in alter Zeit nie – wie wir heute – die Frage stellte, was es mit dem Traumgeschehen an sich auf sich hat. Träumen gehörte zum Menschsein wie Essen und Trinken und Denken, es war kein separater geistiger oder physiologischer Zustand, der als solcher untersucht werden müsste. Es ging eher darum, die Träume zu deuten, versteckte Botschaften zu interpretieren, ja wesentliche Erkenntnisse über das Geschehen in der Welt zu gewinnen.

So findet sich im Alten Testament die Geschichte des Propheten Daniel, der – nachdem das jüdische Volk unter babylonische Knechtschaft geraten war – auf Grund einer Traumdeutung dort eine große Karriere hinlegte, die selbst später noch, nach dem Fall Babylons unter persische Herrschaft, fortdauerte.

Daniels Ruhm gründete auf dem Umstand, dass er als einziger den Traum des Herrschers Nebukadnezar deuten konnte. Der hatte wiederholt von einem furchtbar anzusehenden Standbild geträumt, dessen Kopf aus Gold, Oberkörper aus Silber, Unterleib aus Erz, Schenkel aus Eisen und Füße teils aus Eisen und Ton bestanden. Und dann schlug plötzlich ein Stein, wie von Geisterhand geschleudert, in die Füße der Statue ein, woraufhin diese in sich zusammenstürzte und die Metalle zu kleinsten Teilen zerschredderte. Der Stein aber wuchs an zu einem Berg, der schließlich die ganze Welt erfüllte.

Daniel deutete diesen Traum – wobei er die Deutung ebenfalls im Traum als göttliche Eingebung erhielt – als die Zukunft der Weltgeschichte, in der sozusagen ein Abstieg vom goldenen Zeitalter in eine Endzeit der Trennung stattfindet – Ton und Eisen können nicht miteinander vermengt werden –, bevor dann das Reich JHWHs (besser bekannt als Jahwe) errichtet wird.

Bis in die heutige Zeit dient Daniels Traumdeutung als Inspiration für Endzeitpropheten, Adventisten und islamischen Dschihadisten, unter denen der Mahdi-Glaube – der Glaube an eine Endzeit, in der der Mahdi, der Nachkomme des Propheten, erscheinen und einen Gottesstaates errichten wird – weit verbreitet ist. Die Bilder der kollabierenden Hochhäuser in New York gemahnen nicht von ungefähr an den Zusammensturz von Nebukadnezars Standbild und symbolisieren für sie – geradezu archetypisch – den Zusammensturz der eisernen, zerschmetternden, jedoch auf Sand gebauten westlichen Zivilisation.

Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Träume – und deren Deutung – mythische Kraft entfalten und eine weitreichende Wirkung haben können. Es gibt jedoch eine Kultur, die zu den ältesten der Menschheit zählt, die dem Träumen noch eine ganz andere Dimension verliehen hat: die der australischen Aborigines.

Im Weltverständnis der australischen Ureinwohner hat die gesamte sichtbare Welt ihren Ursprung in der sogenannten „Traumzeit“, in der archetypische, aus der Erde, aus dem Meer und vom Himmel gekommene, träumende Geistwesen Tiere, Pflanzen, Menschen, Naturgewalten und auch die anorganische Materie geschaffen haben. Jede dieser Schöpfungen weist deshalb eine Traumdimension auf, in Tieren, Pflanzen ebenso wie Bergrücken und Flüssen sind diese Schöpferwesen eingebettet und können wieder „erträumt“ werden.

Entlang von Traumpfaden oder Liederspuren (sogenannten „Songlines“), die den australischen Kontinent oft über Tausende von Kilometern überziehen, eröffnen sich die Aborigines eine Rückverbindung zur Schöpferzeit, um die eigene Verortung in der Welt zu erfahren und zu bestimmen. Diese gesungenen Landkarten sind zugleich praktischer wie spiritueller Natur und bestehen aus einer Abfolge von Liedern, die sowohl landschaftliche Orientierungsinformationen enthalten als auch den Prozess der Schöpfung und der Namensgebung der jeweiligen Orte selbst.

Auch in diesem Fall dient das Träumen als ein Gefährt, mit dem die Reise zurück zum Ursprung des Seins oder die Zukunft Welt angetreten werden kann. Wie bei Daniel, der einer ganz anderen Kultur und Zeitepoche entstammt, bietet das Träumen die Möglichkeit zur Rückverbindung (re- ligio) mit der göttlichen Inspiration.

Wenn Menschen schlafen, träumen sie: alle Menschen, egal wo sie auch dem Planeten zu Hause sind, und jedes Mal, wenn sie in Morpheus’ Arme sinken. Sehr viele Menschen, man spricht von 80% Prozent, erinnern sich auch an ihre Träume. Auch diejenigen, die sich nicht erinnern und meinen, sie träumten nicht, träumen.

So sind prophetische oder präkognitive Träume, sogenannte Wahrträume, auch in heutiger Zeit durchaus geläufig. In vielen Familien kursieren die klassischen Geschichten von Vorahnungen über Todesfälle und Unfälle. Viele dieser hellseherischen Träume sind objektiv dokumentiert und wissenschaftlich untersucht worden, wie etwa von dem Physiker und Psychologen Walter von Lacadou, dem Leiter der Parapsychologische Beratungsstelle in Freiburg, und als den Tatsachen entsprechend bestätigt worden.

Diese unerklärlichen Phänomene werden von Lacadou als Verschränkungskorrelationen bezeichnet, als Ereignisse, die – meist erst aus der Rückschau – in einem sinnvollen Zusammenhang zueinander stehen, zwischen denen jedoch keine kausale Beziehung oder gegenseitige Einwirkung feststellbar ist.

Etwas anderes ist jedoch in einer Vielzahl von Fällen feststellbar: Vorahnungen in Träumen wie außersinnliche telepathische Wahrnehmungen beziehen sich nahezu ausschließlich auf Personen, zu denen die Träumenden eine enge zwischenmenschliche Beziehung unterhalten, insbesondere nächste Verwandte.

Es scheint, dass die Hinwendung zu einem anderen der „Trägerstoff“ für diese Phänomene ist. Diese werden jedoch erst ansatzsatzweise verstanden, auch wenn in der Quantenphysik sogenannte Quantenverschränkungen auch im makrokosmischen Maßstab beschrieben werden. Das Interessante an der Quantenmechanik ist, dass sie „nicht-lokal“ ist, also die Beziehungen zwischen den Einzelteilen weder nah noch fern noch kausal sind. Diese „spukhafte Fernwirkung“, von der einst Albert Einstein sprach, könnte durchaus einen auch aus unserer modernen Sicht gültigen Erklärungshorizont für die Traumzeitvorstellungen der australischen Aborigines oder den prophetischen Traum Daniels haben.

Die Welt der menschlichen Träume wird jedoch nicht nur von einer metaphysischen Dimension durchdrungen, sondern weist auch noch viele andere Facetten auf. Träume sind sowohl für den Körper als auch für die Psyche des Menschen von lebensnotwendiger Bedeutung.

Neurobiologische Forschungen haben inzwischen eine relativ klare Vorstellung davon ergeben, was beim Träumen im menschlichen Gehirn passiert, in welchen Mustern geträumt wird und welche Begleiterscheinungen festzustellen sind.

Danach findet Träumen ausschließlich in der sogenannten REM-Phase des Schlafens statt. In dieser Phase, die bei Erwachsenen etwa ein Viertel der Schlafenszeit in Anspruch nimmt und sich drei- bis vier Mal pro Nacht wiederholt, haben die Forscher bei den Schlafenden schnelle Augenbewegungen (engl. Rapid Eye Movements) festgestellt, wobei der Körper nahezu vollständig seine Muskelanspannung verliert. Kinder bis acht Jahre träumen nahezu dreimal solange wie Erwachsene, womit die REM-Phase bis zu zwei Drittel ihrer Schlafenszeit in Anspruch nimmt.

Welche Funktion der REM-Schlaf allerdings hat – und damit das Träumen –, dazu hat die Neurowissenschaft viele sich widersprechende Hypothesen aufgestellt. Einig ist man sich nur, dass er für Lernprozesse, Triebregulierung und Stressbewältigung eine wichtige Rolle spielt. Zumindest gilt als erwiesen, dass Menschen, die regelmäßig am Schlafen und somit am Träumen gehindert werden, ernsthafte seelische und körperliche Störungen erleiden.

Wenn der Volksmund sagt: „Träume sind Schäume“, so will er damit keine psychologische oder sonstige Tatsache benennen, sondern der unbestimmten Angst Ausdruck verleihen, an diesem wilden, geradezu gesetzlosen Geschehen, das sich im Kopf während des Schlafes abspielt und unseren rationalen Geist zugleich fasziniert und erschreckt, könnte sehr viel mehr dran sein: Pfeifen im Walde des Wachbewusstseins, sozusagen.

Psychoanalytiker wie Freud und Jung haben denn auch der alten Kunst der Traumdeutung durch die Analyse von Trauminhalten und die Einordnung in Typologien eine neue, psychische Dimension verliehen.

Unverständlichen Traumbilder, paradoxen Ereignisse, Widersprüchen oder Verschiebungen wurde nun versucht, eine tiefenpsychologische Deutung zu geben, wobei sich die Ansätze von Freud und Jung grundsätzliche unterschieden.

Freuds Traumtheorie war von der Vorstellung geprägt, dass die Hauptursachen für das menschliche Träumen in „verdrängten Triebregungen infantil-libidöser Art“ zu suchen seien. Da sie dem Träumenden sozusagen „peinlich“ seien, würde ein „innerpsychischen Zensor“ durch die symbolhafte Ausgestaltung der Trauminhalte dafür sorgen, dass sie „moralisch konform“ seien. Die Traumdeutung nach Freud wird heutzutage kaum noch ernst genommen, wie denn auch eine Psychoanalyse, die alles aus einem unterdrückten Sexualtrieb erklärt, keine Anhänger mehr hat. Dennoch war Freud der Pionier, der uns die Pforten des Unbewussten geöffnet hat.

Für Carl Gustav Jung, den Begründer der Analytischen Psychologie, hingegen äußerte sich im Traum der ganze Mensch mit all seinen Facetten und Dimensionen.

Jung stellte sich das Träumen als fortlaufenden Dialog des bewussten Ichs mit der nächtlichen, unbewussten Seite der Psyche vor, wobei sich die unbewussten Inhalte sowohl aus dem persönlichen Erleben als auch aus kollektiven Elementen speisen. Nach der Jung’schen Traumlehre ist es deshalb wichtig, die verschiedenen Traumsymbole zu erkennen und richtig zuzuordnen, um die Bezüge zur eigenen Lebenssituation richtig entschlüsseln zu können.

Für Jung haben Träume primär die Funktion, das Tagesgeschehen während des Schlafs gewissermaßen aufzuarbeiten, wobei durchaus zwischen wichtigen und unwichtigen Träumen zu unterscheiden ist. Letztere sind sozusagen das Nachklingen von Alltagssorgen oder emotional aufgeladenen Situationen.

Als Forscher interessierte sich Jung jedoch besonders für Träume, die einen archetypischen, präkognitiven, kompensatorischen Charakter haben oder sich oftmals wiederholen.

Wiederholungsträume sind Träume, die einem tief im persönlichen Unbewussten verankerten – oftmals traumatischen – Erlebnis entspringen und nicht selten albtraumhafte Züge haben. Sie weisen auf große Verletzungen oder bestimmte als defizitär empfundene Persönlichkeitsmerkmale hin, etwa Schüchternheit, Antriebschwäche, Hilflosigkeitsgefühle. Jung ordnete die Art von Träumen als Hilfsversuch des Unbewussten ein, grundlegende Probleme des Träumenden einer Lösung zuzuführen.

Kompensatorische Träume waren für Jung Ausdruck einer „Autonomie des Unbewussten“, das auf sehr einseitige, stark belastende, euphorische oder aufwühlende Lebenssituationen des Träumenden reagiert und versucht, wieder ein Gleichgewicht herzustellen. In kompensatorischen Träume zeigt sich den Träumenden eine deutliche Gegenwelt zu ihrer aktuellen Lebenssituation. Sie enthalten gleichsam die Mahnung des Unbewussten, dass der Träumende wichtige Veränderungen in seinem Leben einleiten sollte.

Archetypische und präkognitive Träume in der Art der australischen Aborigines und des biblischen Propheten Daniel wurden von C.G. Jung in seiner Praxis durchaus öfters beobachtet und spielten im Rahmen seiner vielfältigen Forschungen zu akausalen, synchronizistischen Verknüpfungen eine wichtige Rolle. Seinen Klienten riet er in diesen Fällen, diese Träume sehr ernst zu nehmen und in ihnen wichtige Warnsignale im Hinblick auf kommende Ereignisse zu sehen.

So könnte man man sagen, im Inneren des Menschen, im großen Reich des Unbewussten, existieren Wissensdimensionen, die dem Ich- Bewusstsein weitgehend verschlossen bleiben. In den Träumen werden diese Wissensinhalte aus den dunklen Tiefen des Unbewussten an die Oberfläche des Wachbewusstseins gebracht, und zwar in symbolhaften Darstellungen und Verknüpfungen. Komplexe Sachverhalte werden vom Unbewussten in komprimierter Form oftmals als filmartige Bildfolgen dargestellt.

Für C.G Jung waren die Träume der Königsweg zum Verständnis der Einzelperson wie der Menschheit als Ganzes. Nicht anders als Daniel hat er versucht, die Symbolsprache der Träume zu entschlüsseln. So lautet eines seiner Hauptwerke denn auch: Der Mensch und seine Symbole. Im Internet gibt es zudem außerordentlich viele – wenn auch nicht immer fundierte – Informationen zu einzelnen Traumsymbolen.

Es lohnt sich also, Träume nicht als Schäume abzutun und sich mit ihnen zu befassen. Das Führen eines Traumtagebuchs und Übungen, die das Erinnerungsvermögen an Träume verbessern, können neue Lebensperspektiven eröffnen. Die über das Träumen erschlossenen Wissensschätze des Unbewussten stehen nicht nur Propheten und Urvölkern zur Verfügung. Und sie sind nicht nur in Zeiten von Sinnkrisen und dramatischen Umwälzungen mächtige Ressourcen für die Meisterung des eigenen Lebensschicksals.

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