Was Digitalisierung und optimierte Supply Chain
womöglich mit der Selbstfindung zu tun haben
Gegen die Digitalisierung ist grundsätzlich ebenso wenig einzuwenden wie gegen Entwicklung von Technik oder besser Mechatronik. Allein wegen des Zugriffs auf eine schier unbegrenzte Menge an Informationen über alles nur Erdenkliche eröffnen sie ungeahnte Möglichkeiten des Denkens, des Mustererkennnens, Kombinierens und Berechnens, und sie bieten, nicht zuletzt, die Möglichkeit zur Kommunikation zwischen Menschen über alle physischen, sprachlichen und kulturellen Grenzen hinweg.
Digitalisierung, Automation und Arbeitsmaschinen scheinen den uralten, in Mythen und Geschichten tief eingegrabenen Menschheitstraum des „Von-Selbst“, von Zauberkräften und -sprüchen, von Geistern aus der Flasche und Magie, von sofortiger Wunscherfüllung ohne jede eigene Anstrengung zu erfüllen.
Auch wenn in der Wirtschaftssprache von immer höherer Produktivität, von kürzerer „Time to Market“, von rationalisierten Prozessen die Rede ist, so liegt dem – oder der Geschichte, an die wir glauben – der Wunsch zugrunde, die „Welt“ um uns her zu einem Tischlein-Deck-Dich zu machen, so wie es sich einst der bayerische „Märchenkönig“ Ludwig in seinem Neuschwansteiner Schloss vorstellte.
Sieht man genau hin, so ist diese Wunschvorstellung in all den Laboren und Forschungseinrichtungen der Welt der Hauptantrieb … neben dem Wunsch, zugegeben, die „Welt zu verstehen“.
Nur, der Wunsch scheint nicht wie gewollt in Erfüllung zu gehen.
Das, was die Tüftler, Ingenieure, Software-Entwickler, die digitalen Zauberer, die Googles und Apples und Amazons usw. antreibt, die erzielten Effektivitäts- und Produktivitätssteigerungen, optimierten Beschaffungsketten … das alles scheint in vielerlei Hinsicht ins Leere zu laufen.
Ins Leere, weil sich das automatisierte Produzieren völlig losgelöst hat von dem, was sich in dem Menschenwunsch nach „Von-Selbst“ verbirgt, oder besser gesagt von dem, was der Mensch selbst ist: Er ist wie „von selbst“ entstanden, er ist ein sich selbst bildender Organismus, der sich in einem magisch anmutenden, autonomen Gestaltungsprozess explosionsartig zu einem „System“ entfaltet, das dabei zusätzlich auf verschiedensten Ebenen – biologisch, geistig, ökologisch, quantenphysikalisch usw. – eine unauflösliche Verbindung mit anderen Systemen eingeht.
Womöglich spiegelt der Wunsch, dass da draußen „alles wie von selbst laufen solle“, die unbewusste Eigenwahrnehmung, dass wir, um bei dem Wortspiel zu bleiben: „selbst“ sind, sozusagen mühelos selbst geworden sind, in einem aufs Feinste abgestimmten Vorgang, den wir vergeblich mit einer optimierten Supply Chain nachzuahmen versuchen.
Und womöglich steht am Ende der uralten Suche nach dem eigenen Selbst, dem Streben, das Mysterium des eigenen Seins zu ergründen, nichts weiter als die Realisation … das ehrfürchtige Erahnen …, dass das eigene Selbst ein „Von-Selbst“ ist, das mit allem und jedem verschränkt ist oder immer schon verschränkt war.